Wieviel Arzt-/ Praxiszeit sollte ein GKV-Versicherter haben?

#PraxenKollaps verhindern

Am 15.11.2023 protestieren Ärzte, Psychotherapeuten und Apotheker mit ihren Praxen gemeinsam gegen die Fehlentwicklung im deutschen Gesundheitswesen. Geht es um Geld? Ja, die Praxen und Apotheker fordern eine angemessenere Vergütung. Ist das statistische Jahresgehalt im Gesundheitswesen zu gering? Nein, deutsche Ärzte und Apotheker haben in den Jahren der Corona-Pandemie 2021/2022 im Durchschnitt sehr gut verdient (aber auch sehr viel gearbeitet). Ist der Protest unberechtigt? Worum geht es wirklich?  

Was ist das eigentliche Problem, gegen das sich jeder Bürger zur Wehr setzen sollte?

Die „Regelleistungen“ der medizinischen Versorgung unterliegen einem sogenannten Budget. Das bedeutet, dass eine Arztpraxis je Quartal (drei Monate) pro GKV-Versicherten immer nur einen festen Betrag zur Verfügung hat. Dieser Wert ist alters- und qualifikationsabhängig, aber sehr gering. Im ersten Quartal 2023 erhielt ein Hausarzt, der „Selektivvertragsteilnehmer“ ist (die Praxis bietet die Hausarztzentrierte Versorgung, HZV, an), zwischen 20,22 Euro (für 19 bis 54-Jährige) und 36,48 Euro (für über 75-Jährige). Dieser Betrag ist geringer als die Anfahrtspauschale eines Handwerkers. Kein Bäcker könnte eine Brot- und Brötchen-Flatrate für 40 Euro pro drei Monate anbieten. Das größte Problem ist also, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung für die derzeitige Vergütung nicht mehr sichergestellt werden kann. Unsere eigentliche Aufgabe kann nicht mehr wirtschaftlich erbracht werden: Dies nennen wir Praxiskollaps.

Muss der Arzt alle Leistungen für dieses Geld erbringen?  

Nein, Es gibt noch die sogenannte „Extrabudgetäre Vergütung“. Hiermit will der Gesetzgeber Vorsorgeleistungen fördern (nach Willen des Gesundheitsministers zukünftig auch in Apotheken). Ein Hausarzt, der Präventionsleistungen anbietet, erhält dafür zusätzliches Geld: Eine Impfung z.B. vergütet das System mit etwa 10 Euro. Um im Beispiel zu bleiben: Kuchen wird extra bezahlt. Aber geht es beim Haus- und Facharzt um Kuchen oder Brot? Welche Leistung wollen wir als Gesellschaft? CheckUp, Hautkrebsscreening, Impfung und Beratung zur Organspende oder wollen wir ordentlich medizinisch versorgt werden? Oder vielleicht sogar beides?

Bekommt jeder Arzt das gleiche Geld?

Ärzte erhalten nach Qualifikation Zuschläge (QZV). Wie hoch das ist, kann jeder leicht selbst herausfinden. Geben Sie im Internet in Ihre Suchmaschine „KVWL“ und „QZV“ ein. Als ersten Treffer finden Sie die „Fallwerte für RLV und QZV“. Wenn ein Hausarzt über alle vergütungsrelevanten Qualifikationen verfügt, kann sie/ er die durchschnittlich 25 bis 30 Euro/ Patient um 6,05 Euro pro PatientIn und Quartal erhöhen. Für maximal 26,27 bis 42,53 Euro kann dann ein GKV-Versicherter in drei Monaten so häufig in die Arztpraxis kommen, wie Termine verfügbar sind. Sollten Sie nun ein schlechtes Gewissen haben? Nein, aber protestieren Sie für Ihre Versorgung!

Der Hausarzt muss alle Gespräche, EKGs, Lungenfunktionsuntersuchungen, dringenden Hausbesuche, die Betreuung alter Patienten (Geriatrie-Leistungen), Ultraschall und Psychsomatik-Leistungen aus diesem sogenannten Regelleistungs- und Qualitätsbezogenen Zusatzvolumen finanzieren. Damit ist jeder Patient spätestens nach dem zweiten Arztkontakt für die Praxis unwirtschaftlich. Als Konsequenz daraus erhält der Patient seinen nächsten Termin beim Facharzt erst im nächsten Quartal. In jeder Praxis kann die Wirtschaftlichkeit nur dann sichergestellt werden, wenn pro drei Monate möglichst viele Patienten nur eine einzige oder zumindest so wenig Leistung wie möglich erhalten. Eine Katastrophe! Denn es leiden die besonders bedürftigen Patienten: Die Kranken (insbesondere, wenn Kranke jung sind), die Patienten mit Gesprächsbedarf und kurzfristigem Terminwunsch beim Facharzt. Eben alle, die unser Gesundheitssystem wirklich brauchen.  

Sie wussten das nicht? Sie glauben, dass diese Regelung neu ist?  

Nein, jeder Arzt ist seit 1992 („Kompromiss von Lahnstein“ mit Einführung der Budgetierung) gezwungen, seine Zeit zu sparen. Arbeit abzuschieben, wird durch das System gefördert. Der Hausarzt schickt zum Facharzt, der Facharzt zum nächsten Facharzt oder ins Krankenhaus. Aber auch die Kollegialität leidet.  

Eine Unart, über die sich die Hausärzte besonders aufregen, sind Aussagen von Kollegen wie folgende: „Die notwendigen Blutergebnisse für unsern Termin bringen Sie bitte mit. Die Blutuntersuchung können Sie bequem beim Hausarzt machen“. „Die Ergebnisse meiner Untersuchung/ des Krankenhausaufenthalts besprechen Sie bitte mit dem Hausarzt“. Sollte nicht jeder Arzt seine Arbeit selbst vollständig erledigen können? Sollte nicht jede Leistung, die der Leistungskatalog der Krankenkassen vorsieht, so vergütet sein, dass „Abschiebung“ nicht als die bessere Option eingeschätzt wird? Dies ist aktuell nicht mehr der Fall. Kein Facharzt, kein Arzt im Krankenhaus kann im aktuellen System für alle Patienten die erlernte und mögliche sehr gute medizinische Versorgung für die GKV-Patienten wirtschaftlich selbst erbringen.  

Wir fordern daher Sie als Bürger auf, sich an die Lokalpolitiker zu wenden und für eine „angemessene Vergütung der einzelnen Arztleistung“ einzutreten.

Die einzelne Leistung ist also nicht mehr angemessen vergütet? Stimmt das wirklich? Die Abbildung ist eine Erklärung, warum so wenige Ärzte den „schönsten Beruf der Welt“ noch weiterführen wollen. Ein Praxisinhaber muss mindestens 175 Euro (UG 150€, OG 200€) pro Stunde verdienen, um das Gehalt eines leitenden Oberarztes (10.595,36€ pro Monat gemäß Tarif in kommunalen Krankenhäusern) zu erwirtschaften.  

Ein Bild, das Text, Screenshot, Schrift, Zahl enthält.Automatisch generierte Beschreibung

Folie Weiterbildungsveranstaltung Dr. Giesen (z.B. in www.kw-wl.de)

Mit dem aktuellen Vergütungssystem der GKV ist gute Medizin nicht mehr wirtschaftlich. Für die Leistungen im Regelleistungsvolumen (RLV), die die medizinische Grundversorgung der Bürger abbilden soll, hat der Hausarzt 7,5 bis 10 Minuten, über den Zeitraum von drei Monaten! Eine häufig von Menschen in Not benötigte Leistung, wie das psychosomatische Gespräch, das mindestens 15 Minuten dauern soll, kann bei der aktuellen Vergütung wirtschaftlich nur 7 bis 9 Minuten geführt werden. Ist das nicht der absolute Wahnsinn?  

Als Konsequenz bieten Fachärzte individuelle Gesundheitsleistungen an oder lassen sogar den Patienten für die Leistungen, die eigentlich nur die Krankenkasse zahlen müsste, die benötigte zusätzliche Vergütung zahlen. Einige Patienten wählen daher direkt den Weg ins Krankenhaus, wo die gleiche Leistung um ein Vielfaches teurer ist. Verschwendung von Beitragsgeldern mit System, in Deutschland ist das wohl die traurige Realität. Wir fragen Sie als Patienten direkt: „Ist das nicht ein Grund auf die Straße zu gehen?“  

Diese Fehlanreize gehören abgeschafft, sofort!  

Wir bitten daher alle Bürger: „Machen Sie mit. Wehren Sie sich gegen ein System, das Ihnen medizinisch notwendige Leistungen vorenthält. Die Ärzte und Apotheker alleine schaffen es nicht, denn sie haben viel zu lange geschwiegen und die Fehler im System durch immer mehr Leistungen in kürzerer Zeit ausgeglichen. Wenn Sie aber wollen, dass eine Helferin in der Praxis lächelt (weil ihr nicht unter der Last der Arbeit dieses Lächeln vergeht), wenn Sie erwarten, dass Ihr Arzt Zeit für Sie hat oder wenn Sie einfach nur einen Termin beim Facharzt in angemessener Zeit erhalten wollen, dann müssen Sie die Aktion am 15.11.2023 unterstützen. Danke dafür schon jetzt.

Ihr Praxisteam Dr. Dr. Heinz Giesen & KollegInnen